Sie verwenden einen veralteten Browser. Um im Internet auch weiterhin sicher unterwegs zu sein, empfehlen wir ein Update.

Nutzen Sie z.B. eine aktuelle Version von Edge, Chrome oder Firefox

11. Juli 2023

Videoüberwachung: Video als Beweis für Arbeitszeitbetrug?

Darf das Arbeitsgericht die Aufnahme verwenden, obwohl sie „ein bisschen“ gegen den Datenschutz verstößt?
Bild: iStock.com / Nastco
4,67 (3)
Inhalte in diesem Beitrag
Gegensatz von Täterschutz und Datenschutz?
Ein Arbeitnehmer kommt für eine „Mehrarbeitsschicht“ auf das Werksgelände. Noch bevor die Schicht beginnt, geht er wieder heim. Bezahlen lässt er sich die Schicht trotzdem. Eine Videoaufnahme beweist sein Verhalten. Darf das Arbeitsgericht die Aufnahme verwenden, obwohl sie „ein bisschen“ gegen den Datenschutz verstößt?

➧ Wie sieht der Arbeitgeber den Sachverhalt?

Ein Arbeitnehmer arbeitete in einer Gießerei. Am 2. Juni 2018 hätte er eine zusätzliche Nachtschicht von 21:30 bis 5:30 Uhr leisten müssen. Um 18:31 Uhr betrat er das Werksgelände, um 20:51 Uhr ging er wieder heim. Die Nachtschicht leistete er nicht. Bezahlen ließ er sie sich aber trotzdem. Zeugen für dieses Verhalten gibt es nicht, sehr wohl aber Videoaufnahmen. Sie stammen von einer Videokamera an einem Tor zum Werksgelände.

Ein solches Verhalten wollte sich der Arbeitgeber nicht gefallen lassen. Er kündigte deshalb dem Arbeitnehmer außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Gegen beide Kündigungen klagt der Arbeitnehmer.

➧ Wie sieht der Arbeitnehmer die Situation?

Was bisher geschildert wurde, ist die Situation aus der Sicht des Arbeitgebers. Für den Arbeitnehmer stellt sich alles ganz anders dar. Er behauptet, am 2. Juni 2018 sehr wohl während der Nachtschicht gearbeitet zu haben. Den Inhalt der Videoaufnahmen beurteilt er ganz anders als der Arbeitgeber.

Letztlich kommt es aus der Sicht des Arbeitnehmers auf den Inhalt der Aufnahmen aber gar nicht an. Denn der Arbeitgeber dürfe sich auf diese Aufnahmen von vornherein überhaupt nicht berufen. Als sie ausgewertet wurden, seien sie schon über ein Jahr alt gewesen. Zulässig sei eine Auswertung jedoch lediglich binnen 96 Stunden nach der Aufnahme. In der Vergangenheit habe man im Unternehmen immer diese Frist zugrunde gelegt, wenn es um die Auswertung von Videoaufnahmen ging.

➧ Was ist der rechtliche Knackpunkt bei den Videoaufnahmen?

Schon seit langem wird darüber gestritten, unter welchen Voraussetzungen Videoaufnahmen zulässige Beweismittel in einem Kündigungsschutzprozess sind. Besonders umstritten ist das bei heimlichen Videoaufnahmen. Darum geht es hier allerdings nicht, denn die Videokamera war deutlich sichtbar.

Problematisch ist hier allerdings, dass der Arbeitgeber die Aufnahmen erst nach etwa einem Jahr ausgewertet hat. Anlass dafür war ein anonymer Hinweis auf angebliche Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers. Somit stellt sich die Frage, ob derartige „alte“ Aufnahmen ein zulässiges Beweismittel sind oder nicht. Sie steht im Mittelpunkt.

➧ Warum kommt es im Kündigungsschutzprozess auf das alles an?

Die Situation im Kündigungsschutzprozess ist für den Arbeitgeber schwierig. Er beruft sich auf einen angeblichen Arbeitszeitbetrug des Arbeitnehmers. Das ist ein schwerer Vorwurf, der prinzipiell eine Kündigung rechtfertigen kann. Allerdings muss der Arbeitgeber seine Behauptung beweisen. Und hier liegt für ihn das Problem.

Zeugen für den Arbeitszeitbetrug gibt es offensichtlich nicht. Falls der Arbeitnehmer während der Nachtschicht wirklich nicht anwesend war, scheint es also niemandem aufgefallen zu sein. Damit ist der Arbeitgeber auf die Videoaufnahmen angewiesen. Denn – so sagt es jedenfalls der Arbeitgeber – diese Aufnahmen würden den Arbeitszeitbetrug beweisen. Die Aufnahmen sind für ihn das einzig mögliche Beweismittel.

➧ Vor welchen Alternativen steht das Arbeitsgericht?

Das Arbeitsgericht muss darüber entscheiden, ob die Videoaufnahmen als Beweismittel überhaupt zulässig sind. Falls es diese Frage bejaht, wird es die Aufnahmen buchstäblich in Augenschein nehmen und entscheiden, ob sie einen Arbeitszeitbetrug beweisen oder nicht.

Falls es die Videoaufnahmen allerdings als Beweismittel für unzulässig hält, spielen sie im Kündigungsschutzprozess überhaupt keine Rolle. Das Gericht muss sich dann konsequenterweise weigern, die Aufnahmen auch nur anzusehen. Das meint der juristische Begriff „Beweisverwertungsverbot“.

➧ Wie äußert sich das Bundesarbeitsgericht zu den Videoaufnahmen?

Das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass im vorliegenden Fall ein solches Beweisverwertungsverbot nicht besteht. Dabei geht es auf zwei Aspekte ein:

  • Grundsätzliche Bedenken gegen die Verwertung der Videoaufnahmen bestehen nicht. Zum einen erfolgte die Videoüberwachung offen für den Arbeitnehmer deutlich sichtbar. Zum anderen geht es – wenn die Videoaufnahmen dies beweisen – um ein „vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers“, nämlich um Arbeitszeitbetrug.
  • Zwar könnte es sein, dass die Videoaufnahmen längst hätten gelöscht sein müssen. Diese Frage vertieft das Gericht aber gar nicht näher. Denn selbst wenn dies so wäre, könnten die Videoaufnahmen als Beweismittel verwendet werden. Salopp gesagt: Dieser Verstoß gegen den Datenschutz wiegt dann auf jeden Fall nicht so schwer wie das vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers.

➧ Wie geht es jetzt weiter?

Das Bundesarbeitsgericht klärt Rechtsfragen. Es ist nicht dazu da, eine Beweisaufnahme durchzuführen und konkrete Beweismittel in Augenschein zu nehmen. Darum haben sich die sogenannten „Instanzgerichte“ zu kümmern. Deshalb geht der Fall jetzt zurück an das Landesarbeitsgericht Niedersachsen.

Dieses Gericht wird die Videoaufnahmen nunmehr auswerten. Dann wird sich zeigen, was darauf zu sehen ist und wie dies rechtlich zu bewerten ist. Mit anderen Worten: Erledigt ist der konkrete Rechtsstreit noch lange nicht.

➧ Wo finden Sie die Quellen für diesen Fall?

Zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22 gibt es bisher nur eine Pressemitteilung. Sie ist hier abrufbar: https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/offene-videoueberwachung-verwertungsverbot-2/.

Der relativ umfangreiche Sachverhalt ist zu finden im Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 6. Juli 2022 – 8 Sa 1149/20. es ist hier abrufbar: https://voris.wolterskluwer-online.de/browse/document/91465b45-39af-4cff-85ba-8db251e3b791.

Dr. Eugen Ehmann

Dr. Eugen Ehmann
Verfasst von
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann ist ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet des Datenschutzes in Unternehmen & Behörden. Er ist Herausgeber eines renommierten DSGVO-Kommentars und Autor zahlreicher Beiträge in der Datenschutz PRAXIS sowie in vielen weiteren Datenschutz-Veröffentlichungen. Außerdem moderiert er seit 2003 den Datenschutz-Kongress IDACON
0 Kommentare
Vielen Dank! Ihr Kommentar muss noch redaktionell geprüft werden, bevor wir ihn veröffentlichen können.