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10. Juni 2024

Überwachungsdruck durch Videokamera

Überwachung
Bild: ©champpixs_iStock_Getty Images Plus
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Unterlassungsanspruch denkbar
Die DSGVO gilt für eine Videokamera nur dann, wenn sie tatsächlich Bilder aufzeichnet. Aber was ist, wenn von außen nicht zu erkennen ist, ob eine Kamera in dieser Weise aktiv ist? Der gefühlte Überwachungsdruck kann auch dann erheblich sein. Die Gerichte zeigen dafür Verständnis und bieten Schutzmöglichkeiten.

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“ Das wusste schon vor über 200 Jahren der Schriftsteller Friedrich Schiller über die bravsten („frömmsten“) Menschen zu sagen. Streitigkeiten zwischen Nachbarn waren offensichtlich bereits damals ein wohlbekanntes Phänomen. Das ist bis heute so geblieben. Ein beliebtes „Folterinstrument“ sind dabei Videokameras.

➧ Das Verhältnis zweier Nachbarn ist zerrüttet

„Zwischen den Parteien besteht ein seit Jahren angespanntes Nachbarschaftsverhältnis.“ So lautet die nüchterne Feststellung des Gerichts in einem Nachbarschaftsstreit um eine Videokamera. Diese Videokamera hatte ein Hauseigentümer auf einem Balkon seines Hauses installiert. Von manchen Balkonen des Nachbarhauses aus besteht eine direkte Blickverbindung zu dieser Kamera. Welche Möglichkeiten für Aufnahmen des Nachbargrundstücks sie im Detail bietet, ist zwischen den beiden Nachbarn umstritten.

➧ Die Kamera kann vielleicht überwachen

Einigkeit besteht zwischen ihnen zumindest darin, dass die Kamera über einen elektronischen Steuermechanismus verfügt. Vom Grundsatz her sind sie sich auch darüber einig, dass dieser Steuerungsmechanismus in der Lage ist, selbständig Personen nachzuverfolgen. Völlig uneins sind sie sich jedoch, ob die Kamera das Nachbargrundstück überhaupt erfassen kann oder nicht. Der Betreiber der Kamera bestreitet, dass dies möglich sei. Sein Nachbar befürchtet dagegen genau das.

➧ Das Gericht verurteilt den Kamerabetreiber

Das Gericht ist der Auffassung, dass dieser strittige Hauptpunkt dahinstehen kann. Ohne ihn zu klären, verurteilt es den Betreiber der Kamera vorbeugend dazu, jegliche Überwachung des Nachbargrundstücks zu unterlassen. Es verpflichtet ihn, die „installierte Kamera so zu betreiben, dass diese [Kamera] Geschehnisse auf dem Grundstück [des Nachbarn] nicht erfasst“ und verlangt von ihm, „entsprechende Aufnahmen in Zukunft zu unterlassen.“

➧ Heftige Sanktionen drohen

Sollte der Kamerabetreiber gegen diese Unterlassungsverpflichtung verstoßen, droht ihm für jeden einzelnen Verstoß ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 €. Diesen Rahmen schöpfen Gerichte zwar im Ernstfall fast nie aus. Einige tausend Euro Ordnungsgeld sind als Sanktion aber ohne Weiteres realistisch.

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➧ Entscheidend ist der Überwachungsdruck

Nach Auffassung des Gerichts ist es nachvollziehbar und verständlich, dass der Nachbar des Kamerabetreibers eine Überwachung befürchtet. Die Kamera wird durch einen elektronischen Mechanismus gesteuert. Er würde es vom Prinzip her möglich machen, dass die Kamera auf das Nachbargrundstück ausgerichtet wird.

Ob der Betreiber der Kamera diese Möglichkeit tatsächlich nutzt, ist aus Sicht des Gerichts ohne Belang. Angesichts des angespannten Nachbarschaftsverhältnis sei die Befürchtung nachvollziehbar, dass dies geschehen könnte. Daraus entstehe ein erheblicher Überwachungsdruck. Dies genüge, um einen Anspruch auf Unterlassung zu rechtfertigen.

Wegfallen würde dieser Überwachungsdruck nur bei Kameras, die lediglich mit erheblichem manuellem Aufwand auf das Nachbargrundstück ausgerichtet werden können. Gemeint sind damit Konstellationen, bei denen die Kamera erst von Hand in Richtung auf das Nachbargrundstück „umgeschwenkt“ werden muss. Dadurch würden etwaige Überwachungsaktivitäten für den Nachbarn nach außen erkennbar. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor und solche altertümlichen Kameras setzt heute auch noch kaum jemand ein.

Das Urteil entspricht der üblichen Linie

Der vorliegende Fall wurde von einem Amtsgericht entschieden. Dies führt zu der Frage, wie höhere Gerichtsinstanzen einen solchen Fall sehen würden. Das Amtsgericht bezieht sich ausdrücklich auf eine einschlägige Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2010. Sie erging also Jahre, bevor die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Geltung erlangte. Das macht etwas stutzig, spielt jedoch im Ergebnis keine Rolle.

Die DSGVO ist hier nicht anwendbar, sondern das BGB

Die Frage nach der Rolle der DSGVO ergibt nur Sinn, wenn sie überhaupt anwendbar wäre. Das ist jedoch nicht der Fall. Die DSGVO gilt nur für eine Verarbeitung von personenbezogenen Daten, die nachgewiesenermaßen tatsächlich stattfindet (siehe Art. 2 Abs. 1 DSGVO). An einem solchen Nachweis fehlt es hier. Für das Gericht ist jedoch der bloße Überwachungsdruck entscheidend. Solche Fälle regelt die DSGVO nicht.

Damit ist der Weg offen für die Anwendung von Vorschriften außerhalb der DSGVO. Einschlägig ist insoweit § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Er ermöglicht es dem Eigentümer eines Grundstücks, sich gegen mehr oder weniger alles zu wehren, was sein Eigentum irgendwie beeinträchtigt. Die Rechtsprechung legt diese Regelung sehr weit aus. Sie wendet sie etwa auch an, wenn ein Nachbar den anderen Nachbarn durch heftigen Lärm oder unzumutbar helles Licht beeinträchtigt.

Es bedeutet zwar einen gewissen gedanklichen Sprung, mit dieser Regelung auch Videoaufnahmen zu verbieten, die lediglich möglicherweise stattfinden. Dennoch tun dies Gerichte immer wieder. Die einschlägige Rechtsprechung ist erstaunlich umfangreich.

➧ Hier finden Sie das vollständige Urteil

Der Rechtsstreit wurde durch das Amtsgericht Gelnhausen am 4.3.2024 entschieden. Sein Urteil trägt das Aktenzeichen 52 C 76/24. Es ist hier abrufbar: https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE240000636.

Dr. Eugen Ehmann

Dr. Eugen Ehmann
Verfasst von
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann
Dr. Eugen Ehmann ist ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet des Datenschutzes in Unternehmen & Behörden. Er ist Herausgeber eines renommierten DSGVO-Kommentars und Autor zahlreicher Beiträge in der Datenschutz PRAXIS sowie in vielen weiteren Datenschutz-Veröffentlichungen. Außerdem moderiert er seit 2003 den Datenschutz-Kongress IDACON

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