Observierung durch Detektive

Ein Haftpflichtversicherer ist misstrauisch
Der Kläger wurde im Jahr 2018 bei einem Verkehrsunfall verletzt. Beklagter ist der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners. Der Kläger macht gegen den Beklagten Ansprüche wegen der Schäden geltend, die er bei dem Verkehrsunfall erlitten hat. Der Beklagte ist jedoch misstrauisch. Er meint, dass sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter denen der Kläger angeblich leidet, nicht durch den Unfall erklären lassen.
Er beauftragt ein Detektivbüro
Um zu klären, was Sache ist, beauftragte der Beklagte ein Detektivbüro mit der „Observation“ des Klägers. Im Klartext: Das Detektivbüro sollte dem Kläger hinterher spionieren und dabei feststellen, ob er wirklich so stark unter unfallbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen leistet, wie er behauptet.
Nach Durchführung der Observation erstellte das Detektivbüro zwei Berichte und überreichte sie dem Beklagten. Dies alles erfuhr der Kläger, auf welchem Weg auch immer. Weder das Detektivbüro noch der Haftpflichtversicherer übermittelten die beiden Berichte an den Kläger.
Der Kläger verlangt Auskunft nach Art. 15 DSGVO
Selbstverständlich interessierte sich der Kläger sehr für den Inhalt der beiden Berichte und auch dafür, wer sie alles erhalten hatte. Mit Unterstützung eines Anwalts forderte er den Haftpflichtversicherer auf, ihm Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO zu erteilen und ihm Kopien der personenbezogenen Daten zur Verfügung zu stellen.
Zwar erteilte der Haftpflichtversicherer Auskunft über einige personenbezogene Daten des Klägers, die er gespeichert hatte. Die Herausgabe der beiden Berichte des Detektivbüros verweigerte er jedoch. Er vertrat die Auffassung, dass sonst seine Möglichkeit beeinträchtigt würde, unberechtigte Zahlungsansprüche des Klägers abzuwehren. Zudem könne er sich auf ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse berufen.
Die Klage auf Auskunft hat im Ergebnis Erfolg
Beim zuständigen Landgericht als erste Instanz hatte der Haftpflichtversicherer mit dieser Argumentation Erfolg. Es wies die Klage auf Auskunft ab.
Ganz anders das Oberlandesgericht als zweite Instanz. Es verurteilte den Haftpflichtversicherer zum einen dazu, dem Kläger eine Kopie der beiden Berichte zur Verfügung zu stellen. Zum anderen verurteilte es ihn außerdem noch dazu, Auskunft zu erteilen über
- die Verarbeitungszwecke der in den beiden Berichten des Detektivbüros enthaltenen personenbezogenen Daten des Klägers
- die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten des Klägers in diesen beiden Berichten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden
- die geplante Dauer der Speicherung oder zumindest die Kriterien für die Festlegung der Speicherungsdauer
- alle verfügbaren Informationen über die Herkunft der personenbezogenen Daten des Klägers in den beiden Berichten.
Ein Anspruch auf Auskunft besteht
Zunächst hält das Gericht knapp fest, warum die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO vorliegen:
- Die beiden Berichte enthalten personenbezogene Daten des Klägers, möglicherweise sogar besonders sensible Gesundheitsdaten im Sinn von Art. 4 Nr.15 DSGVO, Art. 9 DSGVO. Denn der Haftpflichtversicherer hat das Detektivbüro eingeschaltet, um Informationen über die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers im Alltag zu erhalten.
- Diese Daten hat der Beklagte gespeichert und damit im Sinne von Art. 4 Nr.2 DSGVO verarbeitet.
- Hinsichtlich dieser Verarbeitung ist er Verantwortlicher im Sinn von Art. 4 Nr. 7 DSGVO.
Damit hat der Kläger ihm gegenüber grundsätzlich einen Anspruch auf Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO.
Weitere Voraussetzungen gibt es nicht
Unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hebt das Gericht folgende zwei Aspekte hervor:
- Der Anspruch auf Auskunft setzt nicht voraus, dass derjenige, der Auskunft begehrt, ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Auskunft darlegt.
- Der Anspruchsteller ist in keiner Weise verpflichtet, seinen Auskunftsantrag zu begründen.
„Gegenrechte“ sind nicht ersichtlich
Zwar kann der Auskunftsanspruch prinzipiell durch mögliche entgegenstehende Rechte des Haftpflichtversicherers eingeschränkt sein. Dies zeigt schon die Regelung des Art. 15 Abs. 4 DSGVO. Demnach darf das Recht auf den Erhalt einer Kopie der personenbezogenen Daten die Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht beeinträchtigen. Es ist dem Haftpflichtversicherer jedoch nicht gelungen, solche entgegenstehenden Rechte darzulegen.
Es liegt kein Geschäftsgeheimnis vor
Der Haftpflichtversicherer argumentierte, bei den Erkenntnissen des Detektivbüros handle es sich um ein Geschäftsgeheimnis. Diese Überlegung weist das Gericht zurück. Geschäftsgeheimnisse könnten seines Erachtens nur Informationen sein, die aus der Sphäre des Haftpflichtversicherers selbst stammen. Sie lägen etwa vor, wenn es um die Geheimhaltung von internen Kalkulationen, Kundenlisten oder Herstellungsverfahren ginge, die der Haftpflichtversicherer sozusagen bei sich unter Verschluss hat.
Die Informationen aus den beiden Ermittlungsberichten stammen jedoch aus der Sphäre des Klägers. Sie sind dadurch entstanden, dass er heimlich beobachtet wurde. Dann kann der Beklagte diese Informationen jedoch nicht zum Geschäftsgeheimnis deklarieren.
Die prozessuale Waffengleichheit besteht noch
Der Haftpflichtversicherer war der Auffassung, seine Position in einem möglichen Haftungsprozess würde unzumutbar beschränkt, wenn er gegenüber dem Kläger die Erkenntnisse aus der Observation aufdecken müsste. Dies überzeugte das Oberlandesgericht nicht. Sein Gegenargument: Kommt es zu einem Prozess, wird der Beklagte in diesem Prozess seine Erkenntnisse aus der Observation ohnehin offenlegen müssen, um dem Kläger die Gelegenheit zur Reaktion darauf zu geben. Daraus, dass der Beklagte diese Erkenntnisse schon jetzt aufdecken müsse, ergebe sich für ihn kein Nachteil.
Der Kläger verfolgt legitime Interessen
Mehrfach hebt das Gericht hervor, dass es das Vorgehen des Klägers für ausgesprochen legitim hält. Er sei Ziel einer heimlichen systematischen Beobachtung gewesen, ohne erkennen zu können, was mit den dabei gewonnenen Daten geschehen solle. Gerade die Heimlichkeit des Vorgehens berühre seine Grundrechte erheblich. Deshalb sei es nachvollziehbar, dass er die Hintergründe der Observation klären wolle.
Daten und Dokumente sind verschiedene Dinge
Auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH ist es keineswegs selbstverständlich, dass der Kläger auf der Basis von Art. 15 DSGVO eine vollständige Kopie der beiden Berichte verlangen kann. Denn Art. 15 Abs. 3 DSGVO formuliert ausdrücklich, dass ein Anspruchsteller lediglich „eine Kopie der personenbezogenen Daten“ fordern kann, die der Gegenstand der Verarbeitung sind. Daraus ergibt sich normalerweise kein Anspruch auf eine vollständige Kopie des Dokuments, in dem diese Daten als ein Teil des Dokuments enthalten sind.
Bei besonderen Konstellationen besteht jedoch ein Anspruch auf eine vollständige Kopie des jeweiligen Dokuments, hier also auf eine vollständige Kopie der beiden Berichte des Detektivbüros. Das ist hier der Fall, weil der Kläger seine Rechte nach der DSGVO sonst nicht wirksam geltend machen kann:
- Er wurde bewusst heimlich beobachtet.
- Um feststellen zu können, ob dies rechtmäßig geschehen ist, genügt es nicht, wenn er lediglich Kenntnis von den dabei erhobenen personenbezogenen Daten erhält.
- Vielmehr muss er auch Kenntnis von den Umständen erhalten, unter denen dies erfolgt ist.
- Diese umfassende Kenntnis kann er sich nur mithilfe vollständiger Kopien der beiden Berichte verschaffen.
Die praktische Bedeutung des Falles ist enorm
Vor Geltung der DSGVO war es für eine observierte Person nahezu aussichtslos, an den Bericht über die Observation zu kommen. Mit mehr oder weniger diffusen Interessenabwägungen wehrten die Gerichte solche Ansprüche normalerweise ab.
Das hat sich durch den Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO in dramatischer Weise geändert. Jetzt gilt als Regelfall, dass über den Inhalt solcher Berichte Auskunft erteilt werden muss. Die betroffene Person muss nicht mehr warten, bis sie später im Rahmen eines Prozesses unvermittelt mit dem Inhalt eines solchen Berichts konfrontiert wird. Das kann das Kräftegleichgewicht gerade zwischen den Parteien eines Haftpflichtprozesses erheblich verändern.
Auskunftsanspruch auch gegen das Detektivbüro
Auch das Detektivbüro hat die Daten verarbeitet, die in seinen beiden Berichten enthalten sind. Es ist insoweit Verantwortlicher im Sinn der DSGVO. Der Kläger hätte deshalb ohne weiteres auch die Möglichkeit gehabt, gegen das Detektivbüro einen Anspruch auf Auskunft gemäß Art. 15 DSGVO geltend zu machen. Warum auch immer, hat er dies jedoch nicht getan. Das Gericht sagt dazu verständlicherweise nichts. Denn in dem Verfahren, über das es zu entscheiden hatte, spielte dieser Anspruch keine Rolle.
Hier ist das Urteil zu finden
Das Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 9. April 2024 trägt das Aktenzeichen 13 U 48/23 und ist erst seit kurzem als Volltext öffentlich verfügbar. Es ist hier abzurufen: https://www.juris.de/static/infodienst/autoren/D_NJRE001593457.htm .