Urteil
/ 06. Oktober 2025

Dauernde Videoüberwachung bei der Arbeit

34 Videokameras in einem Unternehmen halten sogar jeden Gang Richtung Toilette lückenlos in HD-Qualität fest. So geht das trotz Protest eines davon betroffenen Arbeitnehmers 22 Monate lang. Die Quittung: Er erhält 15.000 € Schmerzensgeld!

Schauplatz des Geschehens war eine Produktionshalle in einem Stahlunternehmen. Der Kläger arbeitete dort seit Januar 2023. Vom ersten Tag an war er damit konfrontiert, dass es eine große Zahl von Kameras gab. Sie zeichneten das Geschehen lückenlos rund um die Uhr in HD-Qualität auf. Wenn sich der Kläger zum Lager begab, traf er im Verbindungsgang zwischen Produktionshalle und Lager und im Lager selbst auf weitere Kameras. Alles in allem sind in den genannten Bereichen 34 Videokameras installiert.

Der Kläger stand unter Totalüberwachung

Der Kläger hatte in der Produktionshalle eine Maschine zu bedienen. Etwa 10 Meter hinter ihm war in einer Höhe von etwa 5-6 Metern eine Videokamera installiert. Sie erfasste im Wesentlichen den Auf- und Ablagebereich der Maschine. In der Regel stand der Kläger während seiner Tätigkeit mit dem Rücken zur Kamera. Dann waren weder sein Gesicht zu erkennen noch die konkreten Handgriffe, die er vornahm.

Drehte er sich jedoch um oder verließ er seinen Arbeitsplatz, stand er gewissermaßen voll im Fokus. Sein Gesicht war bestens zu erkennen. Eine Zoom- Funktion, über die alle Kameras auf dem Werksgelände verfügen, machte seine Mimik bis ins Detail sichtbar. Begab er sich von der Maschine zum Büro, zum Pausenraum oder zum WC, wurde sein Weg mittels mehrerer Kameras lückenlos dokumentiert.

Proteste verpuffen wirkungslos

Das war dem Kläger rasch zu viel. Er forderte deshalb das Unternehmen dazu auf, mit dieser Form der Videoüberwachung aufzuhören. Damit hatte er keinerlei Erfolg. Das Unternehmen ignorierte seine Aufforderung schlicht und einfach.

In der Folgezeit kam es zu Spannungen zwischen dem Kläger und dem Unternehmen. Diese Spannungen mündeten in eine Kündigung „aus betrieblichen Gründen“ zum 31.10.2024. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Im Rahmen dieses Rechtsstreits schloss er mit seinem Arbeitgeber einen Vergleich. Darin vereinbarten sie unter anderem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2024.

Die Videoüberwachung war rechtswidrig

Bei der rechtlichen Beurteilung der Videoüberwachung wird das Gericht deutlich: Das Unternehmen „hat sich in eklatanter Weise über die Vorgaben des Datenschutzrechts hinweggesetzt“. Für den Kläger – und auch für alle anderen in der Produktionshalle tätigen Arbeitnehmer – bestand ein „extrem hoher Anpassungsdruck“. Diese Formulierungen machen klar, dass das Gericht von den Rechtfertigungsversuchen des Unternehmens für die Videoüberwachung schlicht nichts hält.

Die Begründungen für sie sind äußerst schwach

Eine nähere Betrachtung macht deutlich, warum die Einschätzung des Gerichts so hart ausfällt. Die Videoüberwachung in dieser extremen Form ist unter keinem Aspekt erforderlich. Deshalb geht die Abwägung der Interessen von Kläger und Arbeitgeber gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs.1 Buchst. f DSGVO zum Nachteil des Arbeitgebers aus:

  • Diebstähle, die auf einem Nachbargelände laut Angaben des Arbeitgebers vorgekommen sind, rechtfertigen keine Überwachung der Produktionshalle. Zur Abwehr solcher Diebstähle wäre lediglich eine Überwachung des Nachbargeländes selbst geeignet.
  • Angebliche Manipulationen an Maschinen, die durch die Videoüberwachung verhindert werden sollen, hat der Arbeitgeber nur pauschal behauptet. Es fehlen jegliche Angaben zu Zeit, Art und Ort konkreter Vorfälle. Um lediglich abstrakt denkbare Manipulationen abzuwehren, ist eine derart intensive Videoüberwachung unverhältnismäßig.
  • Auch für Zwecke der Arbeitssicherheit war die Videoüberwachung nicht erforderlich. Der Arbeitgeber hat in keiner Weise konkret dargelegt, welchen Nutzen die Videoüberwachung in dieser Hinsicht bringen soll.

Die Klausel im Arbeitsvertrag bringt nichts

Im Arbeitsvertrag des Klägers war folgende Klausel enthalten: „Der Arbeitnehmer ist damit einverstanden, dass im Rahmen der Zweckbestimmung des Arbeitsverhältnisses und unter Beachtung der Vorschriften des Datenschutzes seine personenbezogenen Daten verarbeitet werden können.“ Der Arbeitgeber hatte gehofft, die Videoüberwachung damit legitimieren zu können.

Nach Auffassung des Gerichts liegt darin jedoch keine wirksame Einwilligung in die Videoüberwachung. Es fehle nämlich schon an der erforderlichen Freiwilligkeit der Einwilligung. Denn: „In Maßnahmen der Mitarbeiterüberwachung kann durch den Abschluss des Arbeitsvertrages nicht vorab wirksam eingewilligt werden.“

15.000 € Schmerzensgeld sind angemessen

Der Kläger forderte wegen der Videoüberwachung schon in der ersten Instanz Schmerzensgeld. Die Höhe des Schmerzensgeldes stellte er dabei in das Ermessen des Gerichts. Als Mindestbetrag hielt er 7000 € für angemessen.

Mit dieser Forderung hatte er bereits in der ersten Instanz des Rechtsstreits mehr als Erfolg. Das Arbeitsgericht als erste Instanz verurteilte den Arbeitgeber nämlich zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 €.

An diesem Betrag hat das Berufungsgericht, das jetzt zu entscheiden hat, nichts auszusetzen. Im Gegenteil: Es hält ihn in vollem Umfang für angemessen. Dabei hebt es folgende Aspekte hervor:

  • Für den Kläger gab es buchstäblich keinen Ausweichraum, in den er sich zum Schutz vor der Kameraüberwachung hätte zurückziehen können. Lediglich die Pausen-, Umkleide- und Sanitärräume selbst wurden nicht von Kameras überwacht – sogar der Weg dorthin aber sehr wohl.
  • Besonders zu beanstanden ist die Möglichkeit, durch ein „Zoomen“ von Kamerabildern selbst Details im Gesicht des Klägers zu betrachten.
  • Ferner ist nach Auffassung des Gerichts zu berücksichtigen, dass die rechtswidrige Überwachung trotz des deutlichen Protests des Klägers volle 22 Monate lang an jedem Arbeitstag in jeder Arbeitsminute stattfand.

Da half es dann auch nichts mehr, dass die Videoüberwachung zumindest nicht heimlich erfolgte  und dass auf sie durch eine entsprechende Beschilderung hingewiesen war.

Art. 82 DSGVO erwähnt das Gericht nicht einmal

Etwas merkwürdig wirkt es, dass das Gericht einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen einer grob rechtswidrigen Verarbeitung personenbezogener Daten bejaht, dabei aber Art. 82 DSGVO („Haftung und Recht auf Schadensersatz“) noch nicht einmal erwähnt. Stattdessen erörtert es als Rechtsgrundlage lediglich eine Vorschrift des BGB, die sich allgemein mit dem Thema Schmerzensgeld befasst (§ 253 BGB).

Dem Kläger kann dies freilich gleichgültig sein. Und selbst wenn das Gericht Art. 82 DSGVO herangezogen hätte, hätte dies an der Höhe des Schmerzensgeldes mit Sicherheit nichts geändert.

Hier ist das Urteil zu finden

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 28.5.2025 ist bei Eingabe des Aktenzeichens 18 SLa 959/24 im Internet leicht zu finden, beispielsweise in der Rechtsprechungsdatenbank NRW unter https://nrwe.justiz.nrw.de/arbgs/hamm/lag_hamm/j2025/18_SLa_959_24_Urteil_20250528.html.

Dr. Eugen Ehmann