Urteil
/ 27. April 2020

Auskunftspflicht einer Versicherung – Welchen Anspruch haben Versicherte?

Der Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 DSGVO geht sehr weit. Das gefällt vielen Unternehmen nicht. Im Regelfall bleiben die Gerichte jedoch hart. So auch in diesem Fall eines Versicherers.

Eine Versicherte fordert von ihrer Versicherung die Kopie eines medizinischen Gutachtens, das über sie erstellt wurde. Das Kammergericht Berlin gibt ihr ohne Wenn und Aber Recht und bejaht ihren Auskunftsanspruch.

Da die Versicherung den Anspruch der Klägerin auf eine Kopie erst verspätet erfüllt hat, muss sie die Prozesskosten und außerdem die Anwaltskosten der Klägerin tragen.

Der Fall: Begutachtung für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit im Versicherungsfall

Die Klägerin ist berufsunfähig. Zu ihrem Glück hat sie bei der Beklagten eine Versicherung abgeschlossen, aus der sie Anspruch auf eine Rente wegen Berufsunfähigkeit hat.

Die Erbringung der Versicherungsleistung war jedoch von einer Prüfung der Leistungspflicht abhängig. Die Prüfung sah vor, dass sich die Klägerin einer medizinischen Begutachtung unterzieht. Diese Begutachtung erfolgte in einem medizinischen Zentrum, das die Beklagte beauftragt hat.

Das Ergebnis: Die Berufsunfähigkeit der Klägerin wurde bestätigt. Die Beklagte zahlte deshalb die vereinbarte Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Wunsch nach Kopie des medizinischen Gutachtens

Die Klägerin wollte wissen, was in dem Gutachten des medizinischen Zentrums steht. Deshalb verlangte sie von der Beklagten eine Kopie dieses Gutachtens.

Die Beklagte verweigerte ihr eine solche Kopie. Deshalb machte die Klägerin ihren Anspruch durch eine Klage beim Landgericht Berlin geltend.

Das Landgericht Berlin als erste Instanz gab ihr zwar Recht. Das beeindruckte die Versicherung jedoch nicht. Sie stellte der Klägerin nach wie vor keine Kopie zur Verfügung.

Letztlich Herausgabe des Gutachtens

Stattdessen legte die Beklagte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein. So kam der Rechtsstreit in die nächste Instanz, nämlich zum Kammergericht Berlin.

Dort musste die Beklagte erkennen, dass ihre Position aussichtslos war. Es zeichnete sich deutlich ab, dass auch das Kammergericht den Anspruch der Klägerin auf eine Kopie bejahen würde.

Deshalb stellte die Versicherung der Klägerin die gewünschte Kopie jetzt doch zur Verfügung. Das geschah, während der Prozess noch lief.

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Wer trägt die Kosten des Rechtsstreits?

Damit war es sinnlos geworden, noch weiter über den Auskunftsanspruch zu streiten. Deshalb erklärten beide Seiten, also sowohl die Klägerin als auch die Beklagte, „die Hauptsache für erledigt“.

Diese Formulierung stammt aus der Zivilprozessordnung (ZPO). Wenn beide Seiten eine solche „Erledigungserklärung“ abgeben, entscheidet das Gericht nur noch, wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

Erfolgsprognose durch das Gericht

Bei dieser Kosten-Entscheidung entscheidet das Gericht „unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes“. So regelt es § 91 a ZPO.

Das bedeutet vereinfacht gesagt: Das Gericht schätzt ab, wer den Prozess voraussichtlich gewonnen hätte. Dementsprechend legt es dann fest, wer die Kosten zu tragen hat.

Ergebnis: volle Pflicht der Versicherung, Kosten zu tragen

Im vorliegenden Fall entschied das Gericht, dass die Beklagte 100 % der Kosten zu tragen hat. Die Kosten-Entscheidung ging also vollständig zulasten der Versicherung aus.

Daraus lässt sich der Schluss ziehen, dass die Versicherung als Beklagte den Prozess verloren hätte, wenn es zu einer Entscheidung über den Auskunftsanspruch gekommen wäre.

Argumente zugunsten der Klägerin und ihres Auskunftsanspruchs

Mit anderen Worten: Nach Auffassung des Gerichts war die Klägerin voll im Recht. Als Begründung hierfür nennt das Gericht mehrere Aspekte:

  • Die Klägerin hat einen Anspruch darauf zu erfahren, wie das medizinische Zentrum ihren Gesundheitszustand einschätzt. Das ergibt sich aus dem Recht der Klägerin auf informationelle Selbstbestimmung.
  • Hinzu kommt, dass die Klägerin auf Wunsch der Beklagten eine Begutachtung ihrer Person über sich ergehen ließ. Damit ist die Situation anders, wie wenn eine Sache (etwa ein Gebäude oder ein Auto) begutachtet wird. Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, als Mensch in die Begutachtung einbezogen zu werden.
  • Daraus folgt das Recht der Klägerin, das Ergebnis der Begutachtung zu erfahren.

Ohne Bedeutung ist es dagegen, dass das Gutachten der Klägerin keine Nachteile brachte. Die Beklagte hat die geforderte Rente wegen Berufsunfähigkeit nämlich gezahlt.

Das ändert aber nichts am Anspruch der Klägerin, den Inhalt des Gutachtens zu erfahren. Es kommt nicht darauf an, ob sie den Inhalt des Gutachtens kennen muss, um ihre Ansprüche gerichtlich durchsetzen können.

Auskunftsanspruch nach Art. 15 DSGVO als Selbstverständlichkeit

All diese Überlegungen stellt das Gericht unabhängig von der Regelung des Auskunftsanspruchs in Art. 15 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) an.

Auf diese Regelung geht es nur mit einem einzigen Satz ein. Der ist allerdings bemerkenswert. Er lautet: „Durch Art. 15 DSGVO ist ein entsprechender Anspruch nunmehr [gesetzlich] geregelt.“

Mit anderen Worten: Nach Auffassung des Gerichts war der Auskunftsanspruch, der inzwischen in Art. 15 DSGVO ausdrücklich geregelt ist, eigentlich „schon immer da“.

Das trifft sein Wesen sehr gut. Denn tatsächlich würde ein solcher Anspruch sogar dann bestehen, wenn es Art. 15 DSGVO überhaupt nicht gäbe.

Der Grund: Die Europäische Grundrechtecharta enthält in Art. 8 Abs. 2 Satz 2 folgende Festlegung: „Jede Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten …“.

So tief steigt das Gericht bei seiner Argumentation dann allerdings doch nicht mehr ein. Das ist verständlich. Denn schließlich ging es bei seiner Entscheidung nur noch darum, wer die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

Wirtschaftlicher Wert eines Auskunftsanspruchs

Ein interessanter Nebenaspekt ist die Frage, wie viel der Auskunftsanspruch der Klägerin wert ist.

Denn daraus ergibt sich, wie hoch die Kosten des Prozesses konkret ausfallen. Insoweit geht das Gericht von einem „Streitwert“ von 1.000 € aus.

Berechnung mithilfe eines Prozesskosten-Rechners

Laut Prozesskosten-Rechner des Anwaltsblatts, einer Fachzeitschrift für Rechtsanwälte, ergeben sich bei diesem Streitwert Gerichtskosten in Höhe von 371 €.

Hinzu kommen für die Anwälte beider Seiten jeweils 261,80 € für die erste Instanz und jeweils 290,36 € für die zweite Instanz.

Alles in allem kostet die Angelegenheit die Beklagte somit 1.475,32 €.

Teuer oder nicht?

Ist das nun viel oder wenig? Es kommt auf die Sichtweise an. Die beteiligten Rechtsanwälte werden den Streitwert und ihr Honorar, das sich aus ihm ergibt, eher als niedrig ansehen.

Viele Rechtsanwälte dürften kaum bereit sein, für ein solches Honorar zu arbeiten. Sie werden stattdessen den Abschluss einer Honorarvereinbarung fordern, die höhere Honorarsätze vorsieht.

Quelle: Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 23. Oktober 2018 – 6 U 45/18.

Der Prozesskosten-Rechner des Anwaltsblatts ist im Internet unter https://anwaltsblatt.anwaltverein.de/de/apps/prozesskostenrechner zu finden.

Dr. Eugen Ehmann