Urteil
/ 09. September 2025

KI und das Recht an der eigenen Stimme

Ein Video erstellen und dabei die Stimme eines bekannten Menschen verwenden? KI macht das locker möglich. Aber wehe, wenn der bekannte Mensch damit nicht einverstanden ist! Dann kann es teuer werden.

Der Kläger verdient sein Geld als Synchronsprecher sowie als Sprecher für Hörbücher und Hörspiele. Als gelernter Schauspieler versteht er es, mit seiner Stimme umzugehen. Sie ist vielen Menschen in Deutschland vertraut. Gegen entsprechende Bezahlung ist er gerne bereit, Texte zu sprechen.

Der Beklagte nutzte die fremde Stimme für sich

Der Beklagte betreibt einen YouTube-Kanal mit etwa 190.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Die Stimme des Klägers gefiel ihm offensichtlich. Er erstellte für seinen YouTube-Kanal zwei Videos. Diese Videos unterlegte er mit gesprochenen Texten. Die Stimme für diese Texte ließ er durch eine KI erzeugen. Dabei bestellte er bei der KI eine „authentische Stimme mit heldenhaftem Klang.“ Heraus kam dabei eine Stimme, die nach Auffassung des Gerichts der „echten“ Stimme des Klägers zum Verwechseln ähnelt.

Am Ende der beiden Videos wies der Beklagte jeweils auf seinen Web-Shop hin. In diesem Shop vertreibt er Waren, die zum Teil politische Bezüge haben. So kann man dort beispielsweise „Woke-Zero“-T-Shirts kaufen. Das lässt darauf schließen, dass der Beklagte politisch möglicherweise eher rechts einzuordnen ist.

Als erstes kam eine Unterlassungsaufforderung

Durch einen Anwalt ließ der jetzige Kläger dem jetzigen Beklagten eine Abmahnung zustellen. Der Anwalt forderte darin dazu auf, künftig die Nutzung dieser Stimme zu unterlassen. Zugleich forderte er die Übernahme seiner Kosten in Höhe von 1088,60 € plus Mehrwertsteuer.

Der jetzige Beklagte akzeptierte beide Forderungen. Er gab die förmliche Unterlassungserklärung ab und übernahm die Kosten des Anwalts, den der jetzige Kläger beauftragt hatte. Dies alles spielte sich außergerichtlich ab, also zumindest im Ergebnis einvernehmlich.

Jetzt geht es um Schadensersatz

Aus der Sicht des Klägers war die Sache damit aber noch nicht erledigt, denn normalerweise verlangt er für den Einsatz seiner Stimme Geld, schließlich lebt er davon. Deshalb forderte er den Beklagten dazu auf, für die Nutzung der Stimme Schadensersatz zu leisten. Dabei schwebten ihm 2000 € pro Video vor, insgesamt also 4000 €. Dies entspricht seiner üblichen Honorarpraxis.

Der Beklagte wollte davon nichts wissen. Er habe für die Verwendung der KI schließlich etwas gezahlt. Deshalb vertrat er die Auffassung, er habe die von der KI erzeugte Stimme „gekauft“ und würde daran „Nutzungsrechte“ besitzen. Dies hielt der Kläger ersichtlich für absurd. Zu einer einvernehmlichen Lösung kam es nicht. Deshalb ging die Angelegenheit vor Gericht.

Die Stimme gehört zum Persönlichkeitsrecht

Jeder Mensch besitzt ein „allgemeines Persönlichkeitsrecht“. Ein Teil dieses Rechts ist – so das Gericht – das Recht an der eigenen Stimme. Es steht auf einer Stufe mit dem Recht am eigenen Bild. Dieses Recht am eigenen Bild ist in einem speziellen Gesetz geregelt (siehe § 22 Kunsturheberrechtsgesetz). Für das Recht an der eigenen Stimme gibt es eine solche spezielle gesetzliche Regelung zwar nicht, das spielt aber keine Rolle, denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine einzelnen Ausprägungen sind auch unmittelbar aus den Grundrechten der betroffenen Person abzuleiten.

Das Persönlichkeitsrecht ist verletzt

Der Beklagte hat eine KI-erzeugte Stimme des Klägers genutzt, um Videos zu vertonen. Diese Videos hat er verbreitet. Dadurch hat er in das Persönlichkeitsrecht des Klägers eingegriffen. Dass die Stimme lediglich nachgeahmt war, ändert daran nichts. Denn viele Zuhörer hatten den Eindruck, dass der Kläger die Kommentare zu den Videos gesprochen hat. Dies hat ein Vergleich der Stimme des Klägers mit der „Videostimme“ belegt.

Für den Eingriff des Klägers in das Persönlichkeitsrecht des Beklagten gibt es keine Rechtfertigung. Dem Kläger ging es darum, geschäftliche Interessen zu verfolgen. Die Verwendung der Stimme des Klägers sollte die Klickzahlen bei YouTube erhöhen und letztlich den Umsatz im Web-Shop des Beklagten steigern. Dies zeigt sich daran, dass der Beklagte am Ende beider Filme ausdrücklich auf seinen Web-Shop hingewiesen hat.

Zudem kann durch die Verwendung der Stimme des Klägers der Eindruck entstehen, dass er sich mit den politischen Ansichten des Beklagten identifiziert. Dies kann dem Ansehen des Klägers bei Menschen schaden, die politisch anders orientiert sind.

Der Schadensersatz beträgt insgesamt 4000 €

Den Schadensersatz berechnet das Gericht in Form einer „fiktiven Lizenzgebühr“ von 2000 € je Video. Dies ergibt in der Summe 4000 €. Das hat folgenden Hintergrund:

  • Wer die Stimme des Klägers einsetzen will, muss mit ihm eine entsprechende Vereinbarung treffen.
  • Sie besteht darin, dass der Kläger einer Verwendung seiner Stimme zustimmt und dafür von seinem Vertragspartner eine „Lizenzgebühr“ erhält.
  • Einen solchen Lizenzvertrag gab es vorliegend nicht. Die üblicherweise in einem solchen Vertrag vereinbarte Lizenzgebühr ist dem Kläger dadurch entgangen.
  • Sie hätte nach der üblichen Honorarpraxis des Klägers 2000 € je Video betragen.
  • Damit ist die Höhe des Schadens definiert, der ihm entstanden ist. Um diesen Schaden auszugleichen, spricht das Gericht eine „fiktive Lizenzgebühr“ als Schadensersatz zu.

Eine gute Stimme ist Gold wert

Wie das Gericht festgestellt hat, ist der Kläger die bestgebuchte Werbestimme in Deutschland. Seine Mindesthonorare beginnen bei 1800 €. Werterhöhend wirkt sich nach Auffassung des Gerichts aus, dass der YouTube-Kanal des Beklagten etwa 190.000 Abonnentinnen und Abonnenten hat. Deshalb bestehen nach Auffassung des Gerichts keine Bedenken dagegen, dass der Kläger 2000 € je Video fordert. Vielmehr weist es ausdrücklich darauf hin, dass der Kläger eine höhere Lizenzgebühr nicht verlangt hat und dass das Gericht ihm deshalb auch nicht mehr zubilligen kann. Dies lässt sich so interpretieren, dass das Gericht auch einen höheren Betrag akzeptiert hätte.

Es ist nicht alles verboten

Den Spaß, einen selbst erstellten Videoclip mit der Stimme einer bekannten Person zu unterlegen, machen sich inzwischen viele. Dank neuer KI-Systeme sind dafür so gut wie keine EDV-Kenntnisse nötig. Manche werden sich wegen dieses Urteils fragen, ob man so etwas künftig noch riskieren kann.

Die vielleicht überraschende Antwort lautet: Ja! Es darf nur nicht um geschäftliche Interessen gehen und der Videoclip muss ausschließlich im privaten Bereich bleiben. Dazu ein erfundenes Beispiel: Eine Großmutter feiert 80. Geburtstag. Sie ist eine glühende Verehrerin des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Markus Söder. Ihr Enkel macht einen Ausschnitt aus einem Video mit Herrn Söder. Mit der Stimme von Herrn Söder fügt er einen freundlichen Geburtstagsgruß von wenigen Sätzen ein. Die Großmutter freut sich riesig. Dass Herr Söder irgendetwas einzuwenden hätte, ist nicht zu erwarten.

Freilich: Ein solcher Videoclip gehört nicht in soziale Netzwerke oder sonst irgendwie ins Internet. Und selbstverständlich muss auch der Text, der dem Politiker in den Mund gelegt wird, völlig harmlos sein. Spätestens bei der Formulierung, dass die Großmutter doch bitte künftig eine andere Partei als die CSU wählen solle, hätte der Spaß ein Ende.

Hier ist das Urteil zu finden

Das Urteil des Landgerichts Berlin II vom 20.08.2025 ist bei Eingabe des Aktenzeichens 2 O 202/24 im Internet leicht zu finden, beispielsweise hier: https://openjur.de/u/2532836.html. Eine ganze Reihe von Berichten im Internet verrät auch, wer der Kläger ist. Es handelt sich um Herrn Manfred Lehmann, vielen besser vertraut als die deutsche Synchronstimme von Bruce Willis.

Dr. Eugen Ehmann